Ich sehe die Menschen rumrennen und frage mich: Wo wollen die alle hin? Wen treffen sie? Ihr Leben ist prallvoll. Ich versuche mich zu erinnern, ob mein Leben je so war.
Es war im Mai 2022, als uns Torsten Woywod erstmal von »Leonard und Paul« erzählte.
Halt, nein, er erzählte uns und unseren Kolleg*innen in den unabhängigen Buchhandlungen deutschlandweit von einem Buch, das ihn so überzeugt hatte, dass er es in einem neuen Verlag veröffentlichen möchte. Mit Frauke Meurer gründete er Woywod & Meurer und bat uns um unser Vertrauen: Mit einer Crowdfunding-Aktion könnte das Erscheinen ermöglicht werden. Und nun ist »Leonard und Paul« da.
Es ist ein Lieblingsbuch. Unser Lieblingsbuch. Und vielleicht auch bald schon Ihres. (Woywod & Meurer)
Geht das so einfach? Ganz gewiss wäre es anders gelaufen, wäre Torsten Woywod nicht Torsten Woywod. Allen in der Buchbranche ist er wohlbekannt als Verbündeter des unabhängigen Buchhandels. Er selbst ist gelernter Buchhändler, holte die isländische Weihnachtstradition Jólabókaflóð nach Deutschland und reiste beim Projekt »Around the World in 100 Bookshops« erst durch die schönsten Buchhandlungen und veröffentlichte 80 davon in einem Buch. 2021 und 2022 bereiste er mit seinem Fahrrad auf der Tour de WUB während der Woche unabhängiger Buchhandlungen Buchläden in Deutschland und machte auch bei uns Halt.
Einer für alle, alle für einen: Mit großer verbindender Kraft und sprühenden Ideen ist Tosten Woywod unser Musketier des unabhängigen Buchhandels. Und daher waren wir alle neugierig auf seinen neuesten Coup.
»Leonard und Paul« sind allerbeste Freunde. Während Leonard als Ghostwriter für Kinderenzyklopädien tätig ist, arbeitet Paul als Aushilfsbriefträger. Das Leben der beiden verläuft in ruhigen, wohlgeordneten Bahnen – bis jedem von ihnen etwas widerfährt, das eine ganze Reihe von Veränderungen in Gang setzt ...
Dank Leseexemplar konnten wir uns vor Erscheinen ein Bild vom Buch machen, dem Debütroman des irischen Autors Rónán Hession. Guido Krey, unser Mann für die Belletristik, lobt die ungewöhnliche Konstellation, die Impulse liefert für die sehr aktuelle Frage, wie Männer heute sein können: Es ist die Geschichte von zwei schüchternen und sanftmütigen Männern, die eine ganze Weile recht gut im Verborgenen lebten. Bis sie gehalten sind, sich dem Leben zu stellen und ihr Leben zu gestalten. Dass es auch gilt, einen „Raum der Stille“ für den Verband der Pantomime einzurichten – es sind solche etwas spleenigen, herzerwärmenden Zutaten, die den Roman nebst seiner Sanftheit, Stille und Zartheit zu einem eskapistischen Lesevergnügen machen.
Ein Buch für die Seele.
Ihre Freundschaft war mehr als die bequeme Verbindung zweier introvertierter, alleinstehender Männer, die ansonsten wenig Auswahl hatten – sie war ein Pakt. Ein Pakt gegen die Unrast und Achtlosigkeit, die den Rest der Welt erfasst hatte. Ein Pakt der Bescheidenheit gegen Konkurrenzgerangel und Getöse.
Wir haben Torsten Woywod zum Erscheinen des Buches ein wenig befragt.
Torsten, das erste Buch eines neuen Verlags, das Crowdfunding, die überwältigende Unterstützung aus dem Buchhandel, das konsequente Bekenntnis zum unabhängigen Buchhandel: Die Veröffentlichung von »Leonard und Paul« hat bereits jetzt schon Branchengeschichte geschrieben. Wie reagiert der Autor Rónán Hession darauf, der ja in Irland ein absoluter Buchhändler*innen-Liebling ist?
Uns ist zunächst einmal bewusst, dass all das, was im Vorfeld der Veröffentlichung passiert ist, weiß Gott keine Selbstverständlichkeit darstellt. Ganz im Gegenteil. Umso mehr freuen sich sowohl Rónán als auch wir darüber.
»Ich verdanke meine Schriftstellerkarriere den kleinen unabhängigen Buchhandlungen in ganz Irland und im Vereinigten Königreich«, sagt Rónán Hession selbst – und als ich am Wochenende eine Übersicht des bisherigen Vorab-Feedbacks der deutschsprachigen Buchhändler*innen für ihn zusammenstellte, bin ich tatsächlich ein wenig rührselig geworden.
»Stunning«, nannte es der britische Originalverleger Kevin Duffy so treffend-schön, nachdem auch er einen Blick darauf geworfen hatte – und tatsächlich ist es ein großes Geschenk, dass die Buchhändler*innen diesem Roman auch hierzulande mit so viel Interesse und Wohlwollen begegnen.
Aus diesem Grund haben wir uns ein kleines, persönliches Dankeschön in Richtung all jener Buchhändler*innen ausgedacht – mehr wird an dieser Stelle aber noch nicht verraten.
[Juhu! Erklingt es aus dem Buchladen]
In welcher Nachbarschaft finden wir »Leonard und Paul« im Buchregal?
Torsten, ich sortiere meine Bücher zuhause wie eine Art Dorf. Die, von denen ich annehme oder weiß, dass sie gut miteinander konnten oder Verwandte in Thema oder Ort sind, stehen zusammen. Wenn ich »Leonard und Paul« in mein Bücherregal stelle - welche Nachbarschaft finde ich da?
Das ist ein wirklich schönes Bild, wie ich finde. Aus meiner Sicht würde sich dabei vor allem ein Buch als direkter Nachbar aufdrängen: »Offene See« von Benjamin Myers (Übersetzung: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann). Beide Romane erzählen eher stille Geschichten und beschenken uns mit Protagonist*innen, die wir im Anschluss an die Lektüre noch eine ganze Weile mit bzw. in uns herumtragen werden.
Es geht um echte, besondere Freundschaften – und um das, was im Leben wirklich von Wert ist. Die Geschichten werden voller Wärme und Nähe erzählt, wobei der Ton jeweils ein ganz eigener ist. Beides sind Romane, die schlichtweg gut tun. Bücher, die eine wohltuende Alltagsflucht ermöglichen. Lieblingsbücher.
Es gibt aber noch weitere Parallelen: Sowohl Rónán Hession als auch Benjamin Myers haben Romane bei der britischen Indie-Schmiede Bluemoose Books verlegt, weshalb Benjamin Myers sogar bei der Premierenlesung zur Originalausgabe von »Leonard und Paul« zu Gast war. Erschienen ist dieser Roman am 20.03.2019 – auf den Tag genau ein Jahr bevor »Offene See« bei DuMont erschien, und auf den Tag genau vier Jahre vor dem Erscheinen der deutschen Ausgabe von »Leonard und Paul«.
Herzlichen Dank – und viel Erfolg wünschen wir dem Verlegerpaar, dem Autor und der Übersetzerin Andrea O’Brien! Ganz sicher ist eins unserer Lieblingsztitate aus dem Buch dieses hier:
»Buchhandlungen empfand Leonard als tröstliche Orte, Bücher kaufen als tröstliche Beschäftigung.«
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Woywod & Meurer