Oft hat eine kurze Erzählung mehr Gehalt als ein Roman. Die Texte von Lydia Davis sind dafür perfektes Beispiel – z. B. dann, wenn ihr Kafka an der Frage zerbricht, was er kochen soll. Davis ist eine wahre Meisterin auf dem Gebiet der Kurzgeschichte, ihr Erzählungsband ein großes Leseerlebnis. Der besondere Reiz für alle Fans von Paul Auster: Hier schreibt seine erste Ehefrau!
Lydia Davis wird in den USA gerühmt als »eine unserer originellsten und einflussreichsten Autorinnen«, eine Erzählerin mit ungewöhnlicher emotionaler Schärfe, formellem Einfallsreichtum und der Fähigkeit, uns genau dort festzuhalten, wo wir uns mental oder seelisch zu entgleiten drohen oder im Kreis gehen.
Mit ihrer vierten Story-Sammlung Varieties of Disturbance, 2007, schrieb sich Lydia Davis endgültig in die Reihe der Klassiker der Moderne ein. Ihre Themen sind überaus vielfältig: von den Irritationen bei der Betrachtung eines Säuglings, über die Vorbereitungen, die Kafka für ein Abendessen mit Milena trifft, bis zur Untersuchung einer Reihe von Briefen einer Schulklasse aus dem Jahr 1951 an einen kranken Mitschüler. Sowohl alltäglich als auch ungemein überraschend sind diese Geschichten, unterschiedlichst in der Form, von einem sehr trockenen Witz; viele haben nur die Länge eines Satzes.
Wem es in der Literatur um eine Erforschung des Denkens geht, um eine Erkundung unserer Phantasie- und Geistestätigkeiten, um den Imaginationsraum, den jedes Erzählen zu öffnen in der Lage sein sollte, für den sind die Geschichten von Lydia Davis Schatzkammern literarischer Erfindung. Nicht nur, dass sie alltagsneurotische Phantasien und Überlegungen in originellster Weise sprachlich dingfest machen, es sind auch raffinierte Kommentare zum Erzählen selbst, ob sie nun Kafka selbst sprechen lassen, Beckett neuschreiben oder unterschiedliche Proust-Übersetzungen auf ihre Alltagstauglichkeit überprüfen.