Ein schnörkelloser Debütroman über eine unterprivilegierte Kindheit in Deutschland. Die
junge Ich-Erzählerin kehrt für eine Hochzeit von Freunden zurück in ihre Heimat an den Rand
eines Industrieparks (dürfte sich um Frankfurt-Hoechst handeln) und erinnert sich an ihre
Vergangenheit. Trotz einer früh verstorbenen Mutter, die aus der Enge der türkischen Provinz
nach Deutschland emigrierte und einem alkoholkranken Vater, der als Fabrikarbeiter vierzig
Jahre lang Bleche in Lauge tunkte, hat sich die Erzählerin zur Akademikerin hochgearbeitet:
ein Aufstieg also, aber kein Triumph. Denn vorherrschend bleibt das Motiv der Fremdheit.
Ein genauer Blick auf die Fragilität des Bildungsversprechens.
Der Roman steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2020!
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.